Peter Ingwardsen, inzwischen Obersignalgast, berichtet nach Hause von Booten die ganz anders sind, vom billigen Leben in Shanghai, von der großen Wärme im Sommer und einem Treffen mit dem Kapitän z.S. Funke. Der Brief wurde in mehreren Etappen geschrieben und offensichtlich ist der frischgebackene Obersignalgast nicht immer ganz zufrieden mit seiner Lage.
I Liebe Eltern und Geschwister. Habe Euren Brief erhalten und sage Euch meinen besten Dank. Bin jetzt schon übern Monat auf S.M.S. Sperber[1] in Shanghai[2]. Wir haben bis jetzt immer in Shanghai gelegen und bleiben noch bis zum August. Es ist soweit ein ganz schönes Leben. Man geht seine Wachen und wenn ich Freiwache habe gehe ich an Land. Nun ein wenig über Land und Leute. Wenn man von Bord fährt, fährt man nicht mit der Dampf-
II pinnas oder sonst einem Boot vom Schiff sondern mit einem [Zampan][3] das ist ein Boot wie ihr es in Eurem Leben noch nicht gesehen habt. Es ist selbts- redend ein Boot wie bei uns nur ganz anders gebaut. Es ist nämlich wie ein gespannter Bogen geformt der Bug und das Heck ragen weit aus dem Wasser heraus also das der runde Teil im Wasser ist Zeichnung[3] fortbewegt wird das Fahrzeug von einem Chinesen und zwar mit einem Riemen oder Ruder wie Ihr das wohl nennt dieser lagert achtern zwischen den beiden Ansetzen.
III Dem Chinesen gibt man für die Strecke bis an Land 5 Cents das sind in deutschem Geld 10Pf das Vergnügen hat man schon in Flensburg nicht so billig. Ist man nun an Land angekommen geht man nicht in der Stadt herum wie man das in Kiel machen würde, den das kann man viel bequemer haben in dem man fährt und zwar in einem sogenannten Ritscher das ist ungefähr solche Karre wie bei Westphalen[4] nur das statt des Kastens ein Korbstuhl auf Federn ist dieses Fahrzeug von einem Chinesen gezogen der immer Trab läuft
IV
Da kann man dann hin-
fahren wo man will und
eine noch so große Strecke er
bekommt imer nur 10
Cents das sind 20Pf. Hier
giebt es nämlich kein deut-
sches Geld sondern Chinesi-
sches z.B. 1 Dollar sind 2 M. ein
Doller hat 100 Cents 1C. sind 2Pf.
Also Ihr seht man hat es
hier ganz bequem man braucht nicht
mal mehr zu gehen. An
Land trinkt man dann ein
Glas Bier oder geht in den
Park wo jeden Tag Konzert ist.
Mir geht es bis jetzt ganz
gut. Hoffentlich seid Ihr auch
wieder alle wohl und mun-
ter.
[...]
V Was macht denn Dein Ohr hoffentlich ist es doch wohl jetzt besser und Johannes ist doch wohl auch wieder gesund es wird wohl auch nicht so schlimm ge- wesen sein die Luft in der Werkstatt wird wohl nicht schuld daran sein. Er hat ja doch wieder den gan- zen Abend wo er in der frischen Luft spazieren gehen kann und dann arbeitet er doch auch viel an der frischen Luft da hat Hermann es doch noch viel schlimmer denn Hitze ist nichts angenehmes daß kann ich doch wohl beurteilen denn hier draußen im Lande der Chinesen ist jetzt zur Sommerzeit ein ganz schöne Hitze heute haben wir z.B. 35° u. 40° haben wir auch schon gehabt da schwitzt man sogar beim stillsitzen Auf dieser Seite folgt quer am Ende des Blatts: Die besten Grüße an alle Bekannten und Unbekannten in der schönen Seestadt Flensburg und die Damen nicht zu vergessen die [schwarzen] hier [V...] sind auch garnicht schlecht
VI Wie gesagt seid Ihr wenn Ihr diesen Brief bekommt alle wohl und munter wie ich es bin.: Immer Kreuzfidell und lustig wenn man's auch nicht allzu gut hat denn wenn man noch den Kopf hängen läßt dann ist das nochmal so schlimm und wenn man auch keinen Pfennig in der Tasche hat geht man eben desto stolzer durch die Strassen. Jetzt habe ich ja so leidliches Auskommen mit meinem Geld = 15M im Monat. Ich bin nämlich jetzt Obersignalgast geworden und bitte ich von jetzt ab an den Ob.Sig.gst. Ingwardsen zu schreiben. Was macht Christine denn eigentlich von ihr habe ich noch gar keine Antwort auf 4 - 5 Karten erhalten. Na jetzt habe ich aber wohl genug geschrieben den ich schwitze wie ein Bär. Die herzlichsten Grüße aus der Ferne Euer Sohn und Bruder Peter in der Fremde Auf dieser Seite quer am linken Rand: Was macht den der Willi?
VII Habe Euren Brief vom 26.7.04 erhalten und sage Euch meinen besten Dank. Du hast wirklich recht lieber Vater man freut sich hier draußen sehr wenn man was aus der Heimat erfährt. Wir sind jetzt in Tsingtau und bleiben hier wohl ein halbes Jahr liegen da der Sperber in die Werft[5] gehen muß. Hier ist es dasselbe wie in Shanghai nur das hier viel mehr deutsche wohnen wie in Shanghai. Auch liegt ja in Tsingtau deutsche Matrosenartellerie Der Chef des Stabes ist Kaptän z.S. Funke. Wenn Du Dich erinnern kannst hieß der erste Offizier vom Stein[6] auch so. Es ist nämlich der selbe Er kam nämlich an Bord unseren Kommandanten zu besuchen da hat er mich gesehen wie ich meinen [Wachspruch] meldete. Er erkannte mich sofort und befahl
VIII mir Ihn an Land zu besuchen das hab ich den auch gemacht und mich gut amüsiert - es gab nicht so wenig Bier und Cigaretten und außerdem gutes Essen. Wie ich sagte er wann ich nicht wüßte was ich an Land anfangen sollte, sollte ich ihn nur immer besuchen. Mir gehts also hier draußen ganz gut bin noch immer gesund und munter. Jetzt bitte ich nochmals an den ObSiggst Ingwardsen zu schreiben da ich schon seid dem 1ten Juli Obersignalgast bin. Das ich jetzt so viel geschrieben habe wird wohl die Schuld die auf mich geladen habe weil ich solange nicht geschrieben habe tilgen. Jetzt weiß ich aber tatsächlich nicht mehr Von dem Dampfer [Jugendenzia][7] habe ich bis jetzt noch nichts gesehen. Nochmals herzlichen Gruß
[Unsicher…] haben wir alle Stellen markiert, die wir nicht sicher übersetzen oder gar nicht entziffern konnten.
Ortsbezeichnungen haben wir markiert, um einen schnellern Überblich zu haben.
Personennamen haben wir ebenfalls markiert, um einen schnellern Überblich zu haben.
[n] Fußnoten werden, sofern vorhanden, hierunter aufgeführt.
- Auf welchem Schiff war Peter wohl vorher? Die Seiten www.deutsche-schutzgebiete.de / www.kaiserliche-marine.de enthalten einige technische Informationen zur S.M.S. Sperber. Leider kann man die Seite innerhalb des Framesets nicht direkt anspringen. Daher hier zwei Links:
- Der erste Teil des Briefes wurde wohl noch in Shanghai geschrieben, später erwähnt Peter Ingwardsen jedoch, daß er jetzt in Tsingtau ist.
- Hier die von Peter Ingwardsen angefertigte Skizze eines Sampan:
- Vermutlich handelt es sich bei „Westphalen“ um einen Händler in Flensburg. Wer mehr darüber weiß, würde uns mit einer eMail an ingwardsen@cedejot.de sehr dabei helfen, das Umfeld zu rekonstruieren.
- Ein halbes Jahr in der Werft? Ob an der S.M.S. Sperber solch große Reperaturen oder Umbauten nötig waren? Oder war die Wartezeit auf eine Werftplatz solange?
- Vermutlich war Peter Ingwardsen also vorher auf der S.M.S. Stein. Die Seiten www.deutsche-schutzgebiete.de / www.kaiserliche-marine.de enthalten einige technische Informationen zur S.M.S. Stein. Leider kann man die Seite innerhalb des Framesets nicht direkt anspringen. Daher hier zwei Links:
Beim Lesen dieses Briefs hatten wir jedoch den Eindruck, daß der Signalgast Ingwardsen nicht direkt von der S.M.S. Stein auf die S.M.S. Sperber versetzt wurde. Vielleicht war die S.M.S. Stein zu dem Zeitpunkt auch schon Schulschiff.
- Hier haben wir mal keine Ahnung, wovon Ingwardsen schreibt. Ein Schiff das so oder so ähnlich heißt bzw. hieß konnten wir bis jetzt noch nicht finden.